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Impulsreferat am „Runden Tisch“ des Bundesrats: Die Folgen eines Wohnungsmangels

12. Mai 2023

Arch, Architecture, Building

Immer weniger Wohnungen stehen leer: Die Schweiz bewegt sich in Richtung einer Wohnungsknappheit. Vor diesem Hintergrund hat Bundesrat Guy Parmelin am 12. Mai 2023 einen Runden Tisch zu diesem Thema einberufen. Dr. Jörg Schläpfer, Leiter Makroökonomie bei Wüest Partner, war eingeladen, ein kurzes Input-Referat zu den Folgen des Wohnungsmangels zu halten.

Der Runde Tisch fand am Freitag, 12. Mai 2023 im Bernerhof in Bern statt. Eingeladen waren zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter von Kantonen, Städten und Gemeinden sowie aus der Bau- und Immobilienbranche.

Der Runde Tisch verfolgte folgende Ziele:

  • Gemeinsames Verständnis über die Herausforderung und die Rollen der Akteure.
  • Überblick über die Ursachen sowie über die bestehenden Einschränkungen, Hürden und Problemfelder.
  • Erkennen von Spielräumen und Lösungsansätzen.
  • Festlegen des weiteren Vorgehens.

Das Input-Referat von Dr. Jörg Schläpfer trug den Titel «Was sind die Folgen eines Wohnungsmangels?». Der Inhalt des Referats wird hier in einer Zusammenfassung vorgestellt.

Leerstand und Mietpreise

Derzeit wird relativ wenig gebaut. Gleichzeitig ist die Nachfrage nach Wohnungen sehr hoch.

Wohnungsleerstandsziffer
(leerstehende Wohnungen in Prozent des Bestandes)
Angebotsmieten
(teuerungsbereinigt, Index 2005 = 100)

Die Grafik zeigt den Zusammenhang zwischen Wohnungsleerstand und Angebotsmieten: Steigt der Leerstand, sinken die Mieten, sinkt der Leerstand, steigen die Mieten.

Die Preise reagieren mit einer gewissen Verzögerung. Wie aus der Grafik ersichtlich, sinken die Leerstände seit 2020, die Angebotsmieten haben aber erst Ende 2022 nominal zu steigen begonnen. Im Jahr 2023 werden die Angebotsmieten dann auch real ansteigen.

Leerstand nach Gemeindetyp

Der Leerstand sanken zwischen 2020 und 2022 fast überall, jedoch je nach Gemeindetyp unterschiedlich stark.

Wohnungsleerstandsziffer
(leerstehende Wohnungen in Prozent des Bestandes)

Am tiefsten ist der Leerstand in den Grosszentren: In den fünf grössten Städten der Schweiz steht nicht einmal 1 von 200 Wohnungen leer.

Am stärksten ist der Leerstand in den Tourismusgemeinden gesunken, auf unter 1%. Er bewegt sich mittlerweile auf ähnlich tiefen Niveaus wie in den Agglomerationen der Grosszentren.

Generell ist davon auszugehen, dass der Leerstand weiter sinken wird.

Ein Vergleich mit dem Jahr 2005 zeigt jedoch, dass die heutige Wohnungsknappheit nicht aussergewöhnlich ist.

Folgen der Wohnungsknappheit

Wohnen ist ein Grundbedürfnis. Hohe Mieten und tiefe Leerstände haben daher starke Auswirkungen auf unsere Gesellschaft.

Folgen für die Wohnungssuche

Die Marktliquidität hat seit 2021 spürbar abgenommen, Tendenz weiter sinkend.

Eine wichtige Folge der Wohnungsknappheit ist die Trennung der Menschen in Insider und Outsider. Unter Insidern verstehen wir in diesem Zusammenhang diejenigen Personen, die schon eine Wohnung haben; Outsider wären dann die Menschen, die derzeit noch keine Wohnung haben.

Besonders betroffen von dem Wohnungsmangel sind die Outsider. Das können zum Beispiel Personen sein, die wegen einer Arbeitsstelle in ein Wirtschaftszentrum ziehen möchten und dort keine Wohnung finden.

Aber auch die Insider haben ein Problem: Sie finden nämlich auch keine neue Wohnung. Das führt dazu, dass sie in den Wohnungen, die sie schon haben, bleiben – und zwar auch dann, wenn die Wohnung gar nicht mehr ihren Bedürfnissen entspricht.
So bleiben z. B. ältere Menschen oft in viel zu grossen Wohnungen. Aus zwei Gründen:

  1. Es ist schwierig, überhaupt eine neue Wohnung zu finden.
  2. Wenn sie eine kleinere Wohnung finden, kann es sein, dass diese teurer ist als die grosse, die sie schon haben.

Das alles trägt dazu bei, dass der Wohnungsmarkt nicht liquid ist.

Soziale Folgen

Ein Schweizer Haushalte gibt durchschnittlich 15 Prozent seines Einkommens fürs Wohnen aus, also für Miete und Nebenkosten respektive für Hypotheken und kleinere Reparaturen. Bei Hauhalten mit tiefem Einkommen liegt die Wohnkostenbelastung deutlich höher als 15%, und vor allem hat sie in den letzten 15 Jahren stark zugenommen. Menschen aus dem untersten Einkommensfünftel geben inzwischen deutlich mehr als ein Drittel ihres Einkommens fürs Wohnen aus. Besonders betroffen davon sind Alleinverdienerhaushalte, vor allem Alleinerziehende.

Verteilung der Wohnkostenbelastung nach Haushaltseinkommen

Die Wohnkostenbelastung wird in der nächsten Zeit weiter zunehmen. Und das betrifft schon bald nicht mehr nur diejenigen Haushalte, die umziehen: Im Juni 2023 wird der Referenzzinssatz steigen, und auch die aufgelaufene Inflation kann auf die Mieten überwälzt werden. Das bedeutet, dass auch die Mieten in bestehenden Mietverträgen schon bald steigen werden.

Folgen für Wirtschaft und Ressourcen

In der Tourismusbranche sind die Löhne generell eher tief, und die Leerstände sind in den Tourismusgemeinden besonders stark gesunken. Das könnte für Betriebe in Tourismusgemeinden zu einem Problem werden, und zwar dann, wenn ihre Angestellten keinen Wohnraum mehr finden, der für sie bezahlbar ist.

Im Mittelland stellt der Wohnungsmangel für die Wirtschaft kaum ein Problem dar: Hier ist die Verkehrserschliessung so gut, dass die Angestellten einfach pendeln, wenn sie keine Wohnung in der Nähe ihres Arbeitsplatzes finden.  

Aber auch das bringt viele Nachteile mit sich: Mehr Verkehr, stärkere Belastung der Verkehrsinfrastruktur, Umweltverschmutzung, wenig effizienter Flächenverbrauch.

Fazit

Wohnungsknappheit ist für die Schweiz kein neues Thema. Aber die Dynamik ist aktuell so hoch, dass diesem Thema Aufmerksamkeit geschenkt werden muss.

  • Die Wohnungsknappheit hat viele Folgen ökologischer, ökonomischer und sozialer Art.
  • Es ist absehbar, dass mit den Preisen auch die Wohnkostenbelastung weiter steigt. Das werden vor allem Haushalte mit tiefem Einkommen in den Städten zu spüren bekommen.
  • Die Städte benötigen zusätzliche Wohnungen. Dieses Ziel wird durch die Raumplanung unmissverständlich vorgegeben (Stichwort Verdichtung).
  • Generell lässt sich sagen, dass derzeit ein grosses gesellschaftliches Interesse daran, dass mehr Wohnungen gebaut werden, besteht.
  • Um das zu erreichen, wären Kompromissbereitschaft und Pragmatismus von allen Seiten willkommen. Und zwar bei allen Akteuren: Bevölkerung, Staat, Wirtschaft und Verbände.

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